Das Sängerfest
Igaviku tuules - Im Windhauch der Ewigkeit
Ein besonders prägnantes Beispiel für ein estnisches Sängerfestlied, das in der Tradition der Volksweisen steht, ist das Lied "Igaviku tuules", das neben geschichtlichen und poetischen Anklängen auch das Singen selbst zum Thema macht. Dieses Lied gehört zu den sog.Regilaulud, den Reigenliedern, oder auch zu den Runolaulud, den Runenliedern. In diesen Volksweisen sind sehr festgefügte Formen (oft acht Töne, bzw. acht Silben) zu finden ebenso wie stilistische Mittel wie Stabreim (gleiche Anfangslaute) oder Assonanz (gleiche Vokale).
Ursprünglich wurde diese Liedform mündlich überliefert: insofern dienten die Beschränkung auf wenige Worte und Töne, die gleichklingenden Laute und die Wiederholungen des von Vorsängern bereits Gesungenen als Gedächtnisstütze. In dieser Form wurden Hochzeitslieder, Kinderlieder, aber auch Klagelieder, Spottlieder und in Liedform gebrachte Bann- oder Zaubersprüche gesungen.
Im Windhauch der Ewigkeit
Ob denn unsere Landessprache nicht Ewigkeit erlangen kann
durch den Atemhauch, der im Lied zum Himmel steigt?
Wir gehen, wir laufen auf von Menschen geschaffenen Wegen
auf den Spuren des Gottes, der einst dort ging.
Was bleibt in seinen Spuren, in seinen Schritten:
Gold in seinen Schritten, Silber in seinen Spuren
....
Du bist gütig und rein, heilig und groß,
in deiner goldenen Aue wurzelt das Höchste.
Gehen wir Sanften, laufen wir Lieben,
wo wir eins werden und zusammen kommen
im Garten des Vaters, im himmlischen Stall,
da wir Sanften eins werden, wir Lieben zusammenkommen,
die Sanften den Atem teilen, die Lieben die Robe.....
Ob denn unsere Landessprache nicht Ewigkeit erlangen kann
durch den Atemhauch, der im Lied zum Himmel steigt?
Ulla Mayer
Foto Henry Herkula, CC BY-NC 2.0
Das estnische Sängerfest findet seit 1869 statt. Damals versammelten sich 51 Männerchöre in Tartu. Seit der ersten estnischen Republik entwickelte sich ab 1923 - mit wenigen Abweichungen – die Tradition, das Sängerfest alle 5 Jahre stattfinden zu lassen, seit 1896 in Tallinn. Singen ist in Estland zentraler Bestandteil der gemeinsamen kulturellen Identität und war immer auch ein Symbol für den Wunsch des Volkes nach Freiheit und Unabhängigkeit.
Ingelore Haepp